WORMS - ALZEY

Die Tränen des Katharinen-Müllers


Bahnhof Pfeddersheim
 
Fortschrittlich wollten sie sein, die Alzeyer. Bereits 1844 wurde ins Stadthaus zur Gründung einer Eisenbahngesellschaft eingeladen; beim Eintreffen des ersten Personenzuges schrieb man jedoch das Jahr 1867...
 
Zahlreiche Widrigkeiten galt es zu bewältigen: Zunächst einmal stellte sich natürlich die Frage aus welcher Richtung der Schienenanschluss aus der großen weiten Welt nach Alzey kommen sollte. Die vorgeschlagene Streckenführung Mainz-Alzey-Kaiserslautern fand zunächst keine Gnade bei der hessischen Regierung und die Schienen zwischen Worms und Mainz sollten auch nicht einen Umweg über Alzey machen. Andere Linienführungen von Alzey nach Bodenheim, Nierstein, Alsheim oder Osthofen standen zur Diskussion - doch dann kam die Bahn aus Richtung Monsheim.
 

Bahnhof Monsheim
 
Zwischen Monsheim und Worms dampften bereits im Dezember 1864 die ersten Züge; Planung und Durchführung der Streckenarbeiten bereiteten bis dahin auch keine Probleme.
Zwischen Monsheim und Alzey betrat man hingegen ein in jeder Hinsicht schwieriges Terrain:
Zahlreichen Dämme und Geländeeinschnitte waren nötig, um die Trasse in das Zentrum Rheinhessens zu legen.


Die Konservenfabrik Johann Braun AG in Pfeddersheim
verfügte über ein eigenes Bahnanschlussgleis
 
Und die Bewohner von manch einem Ort taten alles mögliche um ein Fortkommen der Bauarbeiten zu erschweren: Die einen wollten eine Änderung der Trassenführung, weil die geplante vom eigenen Dorf zu weit entfernt war; die anderen wollten eine höhere Entschädigung für den Geländeverlust - da musste schon mal der Bürgermeister einschreiten um zu bestätigen, dass ein Grundbesitzer "wegen seiner Blödsinnigkeit überhaupt ausserstande ist irgendeine Erklärung zu unterschreiben".
Jahrelang wurde mehr oder weniger erfolgreich prozessiert; ein Lehrer erhielt immerhin 20 Gulden Entschädigung für Dünger, da die Obstqualität durch den Eisenbahnbau gelitten hat.
 

Bahnhof Gundersheim
 
 
Vom Katharinen-Müller im "Kettenheimer Grund", der durch den Bau des Bahndammes seiner freien Sicht beraubt wurde, erzählt eine Geschichte des Heimatschriftstellers Franz Josef Spang:

Was war es doch so schön gewesen, wie er seither die Bauern schon von weitem kommen sah und ihnen ein Wilkommen auf seiner Mühle zuwinken konnte. Und wenn die Sonne hinter dem fernen Donnersberg zur Ruhe ging, so hatte sie noch einmal die Scheiben seiner Fenster in pures Gold getaucht und eine Fülle von Licht in seine Stube geworfen, dieses Licht, ohne das er nicht leben konnte. Das sollte nun aufhören?
Der Katharinen-Müller holte seinen Knotenstock aus der Ecke und ging aufs Amt. Dort schickte man ihn von Pontius zu Pilatus, und als ihn sein Weib abends von der Hessensteig heraufkommen sah, da merkte sie an seinem müden Schritt und seiner traurigen Miene: der Gang war umsonst gewesen.
Der Damm wurde gebaut und die Befürchtungen des Müllers erfüllten sich in ihrer ganzen Härte. Von diesem Augenblick an war er ein gebrochener Mann. Mit dem Licht war auch die Lebensfreude in ihm gestorben. In einer kalten Winternacht, als Stock und Stein zusammengefroren waren und der bleiche Vollmond sein gespensterhaftes Licht über die schneebedeckte Landschaft warf, stieg er müden Schrittes hinauf auf den Damm. Da lag er wieder vor ihm, sein geliebter Kettenheimer Grund. Heiße Tränen des Schmerzes und der Ohnmacht rannen ihm aus den Augen, in seinen weißen Bart, tropften auf die harte Erde und versickerten langsam in den Boden. Da machte er seinem gepreßten Herzen Luft: "Wenn meine Tränen den Grund des Dammes erreichen, wird er verfallen!"
Diese prophetischen Wort waren nicht in den Wind gesprochen:
In den Jahren 1914 und 1924/25 kam der Damm mehrfach ins Rutschen, die Tränen des Katharinen-Müllers hatten ihre Erfüllung bekommen.
 


Im August 1979 gab es noch die Deutsche Bundesbahn und im Monsheimer Bahnhof einen Fahrkartenschalter...
Literaturhinweise
Döhn, Hans Eisenbahnpolitik und Eisenbahnbau in Rheinhessen 1835-1914, Mainz 1957
Döhn, Hans Die Entwicklung des Eisenbahnwesens im Kreis Alzey, in: Heimatjahrbuch des Landkreises Alzey, 3 (1963), S. 37 - 46
Dereich, Richard Von der "Hessischen Ludwigsbahn": In: Mainz-Bingen: Heimat-Jahrbuch. - 8 (1964), S. 63-64