MAINZ - WORMS


Alter Bahnhof, Worms
 
Nachdem am 23. März die erste Strecke der hessischen Ludwigsbahn von Mainz bis Oppenheim dem öffentlichen Verkehre übergeben worden war, welcher Festlichkeit am 10. Juli die Eröffnung der Strecke Oppenheim - Alsheim und am 7. August derjenigen von Alsheim nach Osthofen folgte, sollte gestern zur Vorfeier des Namensfestes Sr. K. H. des Großherzoges die letzte Section der Bahn, die Strecke von Osthofen bis Worms feierlich eröffnet werden, zu welchem Ende von Seiten des Verwaltungsrathes die höchsten Behörden in Darmstadt, der Stadt Mainz und der Provinz eingeladen worden waren, den für ganz Rheinhessen so wichtigen Tag durch ihre Theilnahme zu verherrlichen.
Um 9 Uhr morgens brachte die Taunusbahn die Darmstädter Gäste, welche in Frankfurt schon von den Mitgliedern des Verwaltungsrathes und dem Präsidenten der Taunusbahn Herrn Korn begrüßt worden waren, nach Kastel, wo sie von Herrn Vicepräsidenten Lauteren empfangen und durch die mit Flaggen verzierte Rheinstraße entlang nach dem im reichsten Schmucke prangendem Bahnhofe der Hesssichen Ludwigsbahn geleitet wurden, wo der Präsident des Verwaltungsrathes Herr Humann umgeben von den übrigen Mitgliedern der Verwaltung und den höchsten Behörden der Stadt und Provinz, die Ankommenden freundlichst willkommen hieß.

Nach eingenommenen Frühstück setzte sich der Festzug bald nach 10 Uhr mit der reich geschmückten Locomotive "Worms" an der Spitze in Bewegung und erreichte, nachdem er die mit Flaggen, Blumen und Laubgewinden sinnig verzierten Stationshöfe der Bahn - Laubenheim, Bodenheim, Nackenheim, Nierstein, Oppenheim, Guntersblum, Alsheim, Mettenheim und Osthofen passirt, wohin die gesamte Bevölkerung dieser Orte zusammengeströmt war und den heranbrausenden und mit Windeseile dahineilenden Zug mit lautem Zurufe und Böllerdonner begrüßte, in 56 Minuten das alte Worms, dessen Bewohner diesen Tag gewiß schon lange mit Sehnsucht entgegengesehen hatten. Unter dem Zujauchzen Tausender, welche herbeigeströmt waren, den Festzug anlangen zu sehen und unter den lauten Fanfaren der im Bahnhofe aufgestellten Hessischen Regimentsmusik entstiegen die Ankommenden den Wagen und wurden von den Wormser Behörden nach dem zu einem Festzelt umgeschaffenen Wartesaale geleitet, wo der Gr. Bürgermeister Herr Euler in einer schwunghaften und mit großem Feuer vorgetragenen Ansprache die ersehnten Gäste willkommen hieß und am Schlusse S. K. Hoheit dem Großherzoge ein Lebehoch brachte, in welches alle Anwesenden mit Begeisterung einstimmten. Ihm antwortete in gediegener Rede Herr Präsident Humann, welcher besonders auf die großen Resultate hinwies, welche die hessische Ludwigsbahn für den Verkehr der Strecke Mainz und Worms und der gesamten Provinz in Aussischt stellte, und am Schlusse der Stadt Worms ein Hoch brachte, worauf sich der unabsehbare Zug nach der Stadt in Bewegung setzte.

Durch die Straßen der Stadt, welche von den Wormser Bürgern in einen Blumengarten umgeschaffen worden waren und durch mehrere Triumphbögen, von denen einer die Embleme des Handels, der Industrie und der Landwirtschaft zeigte, zog man nach dem Casinosaale, wo das Festessen angeordnet war, worauf der größte Theil der Ankommenden sich zerstreute und den altberühmten Dom sowie die reizenden Gartenanlagen des Herrn Fabrikanten Heyl besuchte. Bei dem Festmahle, welches in dem ebenso geräumigen als schönen Casinosaale gegeben wurde, brachte den ersten Toast Herr Humann auf Se. Königl. Hoheit den Herrn Großherzog, wobei er erwähnte, wie es früher in Frankreich Sitte gewesen sey, den ersten Trinkspruch auf den Landesvater mit den wenigen Worten anzubringen: "au Roi" und so sagte auch er: "Hoch dem Großherzoge". Der zweite Toast, von Herrn Lauteren bebracht, galt den Ministern v. Dalwigk und v. Schenck, welche so unendlich viel für das Zustandekommen des Unternehmens gethan und dem gesammten Staatsministerium; der dritte von Herrn Ministerialpräsidenten Freiherrn von Dalwigk Excellenz den beiden Kammern der Stände des Großherzogtums, wobei Hr. v. Dalwigk besonders hervorhob, daß in dieser Frage auch die Opposition das Ministerium kräftig unterstützt und zur Annahme der auf die Eisenbahn bezüglichen Anträge wesentlich beigetragen habe. Ferner berührte der Minister die außerordentliche Wichtigkeit der Bahn für die Städte Mainz und Worms und für die gesamte Provinz, und wie durch dieselbe eine nähere und innigere Verbindung mit dem Norden und Süden, mit Preußen und Österreich angebahnt werde, welche gewiß dazu beitragen werde, die deutschen Stämme sich immer näher zu bringen, Handel und Verkehr zu beleben und den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen.

Weitere Toaste brachten: Herr Humann auf die Stadt Worms, Se. Exc. Freiherr v. Schenck brachte den Toast auf den Verwaltungsrath insbesondere auf dessen Präsidenten Hrn. Humann; Herr Dr. Eich auf die Baudirection der hessischen Ludwigsbahn; Herr Generallieutnant v. Bechtold Excellenz auf das hohe Brautpaar "den Kaiser Franz Joseph von Österreich und Prinzessin Elisabeth von Bayern", der k.k.österreichische Generalmajor und Brigadier Herr von Paumgarten auf I.K.H. die Großherzogin; Herr Präsident Pittschaft auf die Damen und deren hohes Vorbild Großherzogin Mathilde.

Gegen 5 Uhr abends verließen die Darmstädter Gäste die Versammlung, in dem sie über Bensheim nach der Residenz zurückkehrten, während die Mainzer erst um 6 1/2 Uhr mit dem letzten Zuge nach Mainz zurückkehrten, wie uns schien, alle zufrieden mit dem verlebten Tage. Inzwischen hatten die verschiedenen Eisenbahnzüge, besonders die von 11 1/2 und 3 Uhr, eine solche Masse Mainzer nach Worms gebracht, daß man sich unwillkürlich nach Mainz versetzt glaubte, und es schwer hielt, all diese Gäste des Abends noch nach letzterer Stadt zurückzubringen, was übrigens mittels eines Extrazuges gelang, der die letzten um 10 Uhr abends glücklich nach Hause brachte.
Wormser Zeitung, 25. August 1853


Als im Jahre 1835 die erste Eisenbahn auf deutschem Gebiet von Nürnberg nach Fürth fuhr, war bald danach das ganze Land vom Eisenbahn-Bazillus erfasst. Die ersten Impulse für einen Bahnbau in Rheinhessen kamen jedoch nicht von den Einheimischen, sondern von ausserhalb; insbesondere französisch-bayrische Kreise hatten daran ein Interesse. Aus militärstrategischen Gründen stand der preussische Staat einer linksrheinischen Streckenführung jedoch ablehnend gegenüber. In Baden betrachtete man das Unternehmen aus wirtschaftlicher Perspektive skeptisch; man befürchtete, dass der Verkehr am eigenen Land vorbeigeführt werde.
 
Erst im Jahr 1844, als die bayrische Regierung dem Bahnbau in der Pfalz die Konzession erteilte, bewegte sich wieder etwas. Saarkohle und Holz aus dem Pfälzer Wald warteten - aus bayrischer Sicht - nur darauf per Eisenbahn nach Rheinhessen zu gelangen.
In Mainz fanden sich alsbald einige Bürger, um eine Aktiengesellschaft zum Bau einer Eisenbahnlinie zu gründen. Auch der Pionier des deutschen Eisenbahnwesens, Friedrich List, setzte sich persönlich für einen Bahnbau von Mainz nach Worms ein. Die großherzogliche Regierung in Darmstadt blieb jedoch zunächst bei ihrer ablehnenden Haltung, zumal 1842 per Gesetz ein Staatsbahnsystem festgelegt wurde.
 
Anfang 1845 fanden sich auch in der Regierung einige Befürworter der Eisenbahn und die Initiatoren begannen neuen Mut zu schöpfen.
Völlig unklar war zunächst die Streckenführung. Die Alternative Mainz - Alzey - Worms wurde allerdings bald zugunsten der direkten Trassierung verworfen.
 
Am 15. August 1845 wurde dann der "Mainz-Ludwigshafener-Eisenbahngesellschaft" die Konzession erteilt. Die Gesellschaft nannte sich später in "Hessische-Ludwigs-Eisenbahngesellschaft" um - zu Ehren des Großherzogs Ludwig III. von Hessen - obwohl dieser den Bahnbau zunächst ablehnte.
(Die Abkürzung "HLB" wurde in späteren Jahren in "Hoch lebe Bismarck" umgedeutet.)
 

Stadtansicht, Mainz (um 1860)
 
In der Folgezeit kam die HLB immer in finanzielle Schieflagen, da einige Aktionäre ihr Geld zurückzogen. Mit dem Bau der Strecke konnte erst im Frühjahr 1848 begonnen werden.
Da auch die Staatskassen infolge der Revolution von 1848 leer waren, konnte man von dieser Seite keine Unterstützung erwarten - der Bahnbau drohte zum Erliegen zu kommen.
Erst im August 1852 entschloss sich die hessische Regierung die HLB zu unterstützen. Darüberhinaus wurde mit Bayern ein Vertrag bezüglich der gesamten Strecke Mainz - Ludwigshafen geschlossen.
Als sich die Wormser, nach einigem hin und her, auf einen Bahnhofsstandort geeinigt hatten, ging der Bau dann zügig voran.
Die 46 Kilometer lange Strecke wurde in mehreren Teilabschnitten von Mainz nach Worms im Zeitraum vom 23. März (Mainz - Oppenheim) bis 24. August 1853 eröffnet.
Der Fahrplan vom 23. März 1853:
 
I III V VII   II IV VI VIII
Vormittag Nachmittag   Vormittag Nachmittag
630 1100 230 600 Mainz 810 1240 410 740
641 1111 241 611 Laubenheim 800 1230 400 730
647 1117 247 617 Bodenheim 754 1224 354 724
654 1124 254 624 Nackenheim 747 1217 347 717
705 1135 305 635 Nierstein 736 1206 336 706
710 1140 310 640 Oppenheim 730 1200 330 700

Selbstverständlich liess es sich auch der Großherzog nicht nehmen, die neue Eisenbahnlinie in Augenschein zu nehmen. An allen Bahnhöfen war geflaggt. Auch in Nackenheim sollte der Zug anhalten; die Schulkinder standen mit eigens eingeübten Liedern und Gedichten auf dem Bahnsteig, der Bürgermeister in Frack und Zylinder wartete darauf den hohen Gast persönlich begrüßen zu dürfen und der Bahnhofsvorsteher hatte extra die Knöpfe seiner Uniform blankgeputzt. Doch dann geschah das unglaubliche: Der Sonderzug mit dem Großherzog fuhr durch den Nackenheimer Bahnhof ohne anzuhalten!
Rat- und fassungslos sah man sich an, ging ins Ort zurück und beschloss den Ärger im Wirtshaus herunterzuspülen...
Zur Entschuldigung kam ein paar Tage später ein Schreiben der großherzoglichen Regierung: "Leider war es dem Lokomotivführer nicht möglich, den Zug zum Stehen zu bringen. Der Großherzog versichert aber die Nackenheimer Bevölkerung seines größten Wohlwollens"


Bahnhof, Worms
 
November konnte man von Mainz bis Ludwigshafen fahren.
Am Anfang waren täglich 6 Personenzüge (darunter 2 Schnellzüge) in jeder Richtung von Mainz nach Worms unterwegs. In Mainz bestand Anschluss an die Dampfschiffe der "Köln und Düsseldorfer Gesellschaften" und mittels Trajekteinrichtung an die Taunusbahn.
In Worms wurde am 14. Juni 1855 eine Rheinschiffbrücke dem Verkehr übergeben; eine feste Rheinbrücke wurde am 1. Dezember 1900 in Betrieb genommen.
 

Mainzer Centralbahnhof (um 1890)
 
Da die Jahre 1854, 1855 und 1856 sehr nasse Sommer mit sich brachten, waren übrigens weite Teile der Bevölkerung der Ansicht, dass die von der Eisenbahn entwickelten Dämpfe den Regen verursachten...
 
Literaturhinweise
Döhn, Hans Eisenbahnpolitik und Eisenbahnbau in Rheinhessen 1835-1914, Mainz 1957
Häussler, Dr. Ralph Eisenbahnen in Worms - Von der Ludwigsbahn zum Rheinland-Pfalz-Takt, Hamm / Rheinhessen, 2003
Maischein, K. Bis der erste Zug fuhr: Von Mainz über Worms und Frankenthal nach Ludwigshafen - Eine Zusammenstellung zeitgenössischer Stimmen, o.O, o.J.
Spaniol, Rosel Eisenbahnen und Museen (Folge 24): Frühe Eisenbahnanlagen in Mainz (einst und jetzt) - Ein Beitrag zur Stadtgeschichte und -archäologie, Karlsruhe 1981