MAINZER RHEINBRÜCKEN



Mainzer Südbrücke (1862)

 
"Ein Blick auf den Rhein
Zwischen den Holzplanken, mit denen der Laufsteg der alten Mainzer Eisenbahnbrücke belegt war, klafften lange Ritzen. Die Planken rochen beklemmend nach Ruß, Teer und Schmieröl, so daß das Kind den Flieder und die Kastanien des Stadtparks vergaß, und aus den Ritzen zog es fröstlig herauf.
Sie waren zu schmal, als daß man hätte hindurchfallen können, man konnt auch nicht mit dem Schuh drin steckenbleiben, es ging kaum die Spitze eines Regenschirmes hinein. Aber unter ihnen war die Tiefe. Es war eine unbegreifbar fürchterliche Tiefe, wie man sie kaum aus Träumen kennt, und in dieser Tiefe war ein stetes heftiges Reißen und Ziehen, das man im Rückrat und im Magen spürte, als gleite alles Feste, jeder Halt und Boden, die Erde selber in rasender Eile unter den Fußsohlen weg oder als werde man wie ein Brotkrümel vom Teller in einen gewaltigen Spülwasserabguß hineingesaugt.
Die Brücke selbst schien dem Kinderauge unendlich, mit haushohen Eisenbögen drohte sie immer weiter und hörte nirgends auf, das eine Ufer war im Rücken verschollen, das andere nicht zu sehen - und Himmel und Horizont plötzlich von dem gleichen Ziehen und Reißen erfüllt, so als drehe sich alles um und man laufe mit dem Kopf nach unten. Tödliche Angst kroch ins Herz. Da hörte man über sich die Stimme des Vaters. "Wie ich ein kleiner Bub war", sagte sie, mit einem komischen, fast verlegenen Lachen, "und sollte zum ersten Mal über die Rheinbrücke gehen, da hab ich mich schrecklich gefürchtet, weil ich nicht wußte, wie fest so eine Brücke ist. Und da hab ich zu schreien und zu weinen angefangen, und alle Leute haben mich ausgelacht."
Dabei schließt sich die große, warme Männerhand ganz fest um die kleine, die wohl etwas kalt und zittrig geworden war. Und die Angst verdünnt sich, sie weicht einem leichten Gruseln, in dem schon ein Reiz und eine prickelnde Neugier keimt, und mit dem saugenden Gefühl des Schwindels vermischt sich eine heimliche Lust und der Beginn einer träumerich stolzen, tollkühnen Freude.
Wenn jetzt ein Zug käme! Ob dann der Steg noch hält? Und es kommt ein Zug, die ganze Brücke zittert und wippt und dröhnt und donnert, minutenlang ist man in dicken Rauch und Qualm gehüllt, als ginge man durch die Hölle. Aber die Angst ist weg, und sie kommt nicht wieder. Die kleinen Füße pattern frech und lustig rechts und links von der Ritze. Unverschreckt schaut man hindurch, hinunter - es ist der erste, der erste bewußte Blick auf den Rhein."

(aus: Carl Zuckmayer: "Als wär's ein Stück von mir. Erinnerungen", 1907)

 

 
Die Mainzer Eisenbahnbrücke war seinerzeit ein spektakuläres Bauprojekt. Größer und imposanter als die beiden bestehenden Rheinbrücken in Köln und Straßburg.
Die "Illustrierte Zeitung" berichtet am 29. November 1862:

"Die neue Eisenbahnbrücke über den Rhein oberhalb Mainz geht nun ihrer Vollendung entgegen. In einigen Tagen wird dieselbe betriebsfertig hergestellt sein und wahrscheinlich um die Mitte des Monats December gleichzeitig mit der auf dem linken Rheinufer erbauten Eisenbahn von Mainz nach Frankfurt dem öffentlichen Verkehr übergeben werden. (...)
Die ganze Brücke hat in 32 Oeffnungen einen Flutraum von 955,4 Meter und zwischen den Widerlagern gemessen eine Länge von 1028 Meter. Sie ist die längste in Deutschland und die Spannweite ihrer Hauptöffnungen wird auf dem Continent nur von derjenigen der dirschauer Weichselbrücke übertroffen. (...)
Der Oberbau der Brücke ist ganz in Schmiedeeisen construirt und zwar nach dem System des königl. baierischen Oberbaudirectors v. Pauli in München. Dieses System ist hier zum ersten mal für große Spannweiten in Anwendung gekommen und schon dadurch hat die Ausführung der mainzer Brücke in der technischen Welt das lebhafteste Interesse erregt, wie dies noch täglich die Besuche der namhaftesten Ingenieure aus allen civilisirten Ländern darthun."


Der hessische Minister von Dalwigk bezeichnete die Brücke bei der Einweihung am 30. Dezember 1862 als "Bindeglied zwischen Mittelmeer und Nordsee".
Im Laufe der Jahre kam es an der Südbrücke zu einigen baulichen Veränderungen: 1870/71 wurde das zweite Gleis verlegt, 1910 bis 1912 wurden die Strom- und Flutbrücken erneuert.

Am 18. März 1945 sprengten deutsche Pioniere die Brücke. (Schon seit dem 27. Februar war sie nach einem Bombentreffer nur noch eingleisig befahrbar gewesen.)
Direkt neben den Ruinen konnte jedoch schon am 10. April 1945 - nach 9 1/2 tägiger Bauzeit! - die von den Amerikanern als "Kriegsbrücke" geschlagene "Roosevelt-Brücke" eröffnet werden. Diese war ebenso eine eingleisige Behelfsbrücke wie die am 1. Februar 1946 dem Verkehr übergebene "General-Marshall-Brücke".
 

Neue Südbrücke
 
Die entgülige zweigleisige Brücke wurde erst am 28. September 1949 fertiggestellt.
Beim ersten Güterzug, der die Brücke passieren sollte, zeigte sich jedoch, dass die 14 Promille Steigung auf der Gustavsburger Seite nicht unproblematisch waren:
Der Zug kam noch vor Erreichen der Brücke zum Stehen und konnte erst mit Hilfe der Lok des nachfolgenden Personenzuges auf die Mainzer Seite gebracht werden...
 

Kaiserbrücke (1904)
 
Beim Bau der zweiten Mainzer Eisenbahnbrücke, die von Mainz nach Wiesbaden-Biebrich führte, spielten neben wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aspekten in erster Linie militärstrategische Überlegungen eine Rolle - zu den Baukosten von 15,75 Millionen Mark steuerte das Reich 7,7 Millionen bei.

Eröffnung der Kaiserbrücke am 1. Mai 1904
 
Bei dieser Brücke beeindruckten weniger die ingeneurtechnischen Leistungen, sondern vielmehr die architektonische Ausführung der neun Brückentürme. Insbesondere der Turm auf dem linken Rheinufer erregte Aufsehen.

Linksrheinischer Turm der Kaiserbrücke
 
Dieser wurde mit den Büsten des Kaisers, des Großherzoges und zahlreichen anderen Prominenten aus Lokalpolitik und Eisenbahnverwaltung verschönert. Darüberhinaus wurde an den Türmen in Reliefbildern die Geschichte der Stadt Mainz dargestllt.
Somit wurde die Kaiserbrücke - dem damaligen "Zeitgeist" entsprechend - zu einem monumentalen nationalem Bauwerk überhöht.
 

 
Auch die Kaiserbrücke wurde in der Nacht vom 17. zum 18. März 1945 von einem deutschen Kommando zerstört.
Mit dem Wiederaufbau der Kaiserbrücke wurde erst im Sommer 1952 begonnen - Die Ruinen des mächtigen linksrheinischen Brückenturmes fielen im Jahre 1953.
Bei der einfachen neuzeitlichen Brückenbaukonstruktion, die am 17. Mai 1955 eingeweiht wurde, erinnert nichts mehr an den einstigen monumentalen Bau.


Neue Kaiserbrücke
 
Literaturhinweise
Bundesbahndirektion Mainz Die Kaiserbrücke bei Mainz - Festschrift zur Einweihung der wiedererrichteten Kaiserbrücke mit ihren Zufahrtstrecken, Darmstadt 1955
Neliba, Dieter H. Eisenbahnbrücken im Raum Mainz/Wiesbaden, Ginsheim-Gustavsburg 1979
Zuckmayer, Carl Als wär's ein Stück von mir - Horen der Freundschaft, Frankfurt 1966