BAWETTCHE

Ein Opfer der Autobahn


Bahnhof Wöllstein
 
Natürlich hätte man auch eine Brücke bauen können, aber das wäre wohl ziemlich teuer geworden. Also spendierte das Verkehrsministerium dem letzten großen Güterkunden - den Wöllsteiner Ziegelfabriken - auf der Bahnlinie von Sprendlingen nach Fürfeld zwei LKWs, die fortan auf die A61 rollen konnten, um zum täglichen Verkehrsinfarkt beizutragen.
Verkehrspolitik anno 1973...
 
Das Güteraufkommen - in erster Linie landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Rüben und Wein, aber auch die Produkte der Neu-Bamberger Stein- und Wöllsteiner Ziegelindustrie - war für eine Nebenstrecke durchaus beachtlich.
Die Fahrgastzahlen im Personenverkehr jedoch hielten sich stets in Grenzen.
 

 
Bereits im Mai 1887 wurde die Konzession für den ersten Bauabschnitt von Sprendlingen nach Wöllstein erteilt; anderthalb Jahre später konnten die Strecke eröffnet werden. Die Fortführung der Linie verzögerte sich aufgrund des schwierigen Geländes; zahlreiche Kurven waren nötig um die Steigung der Strecke möglichst klein zu halten. Am 5. Oktober 1898 fuhren die Züge dann bis Fürfeld.
Damals waren zwei Tenderlokomotiven, vier Personenwagen, zwei Güterwagen sowie zwei Bahnmeisterwagen in der rheinhessischen Schweiz unterwegs.
 

Haltepunkt Neu Bamberg
 
Die Süddeutschen Eisenbahngesellschaft(SEG), die die Strecke ursprünglich betrieb, übergab sie 1953 der Deutschen Bundesbahn; im selben Jahr wurde der Personenverkehr eingestellt.
 
Von zahlreichen Begebenheiten, die Bawettchen (so hiess die erste Frau, die mitfuhr) auf ihrem Lebenweg widerfuhren, erzählt man sich in der rheinhessischen Schweiz heute noch:
Im Fürfelder Wald lieferte sich die Eisenbahn desöfteren Wettrennen mit den dort wohnenden Wildschweinen. Einmal schaffte es das Dampfross sogar ein Reh zu erlegen!
Im Bahnhof Neu-Bamberg machten sich einmal einige schwerbeladene Güterwagen selbstständig, rollten durch Wöllstein, Badenheim überquerten die Bundesstraße 50 und kamen erst am Prellbock in Sprendlingen zum Stehen.
Unvergessen bleibt auch die Mutter, die ihr Kind in Das 3.Klasse-Abteil (eine andere Wagenklasse führte Bawettchen auch gar nicht...) verfrachtete und es dann allerdings nicht mehr schaffte selbst in den Zug einzusteigen, da sie auf dem Bahnsteig noch ein Schwätzchen hielt; dem Zug mitsamt dem Kind konnte sie nur noch hinterherschauen...
Ein kleines Mädchen, das einmal einen leeren Personenzug auf der Strecke sah, rief diesem hinterher:"Des geschieht unserm Bahnhofsvorsteher Menzenbach ganz recht, dass er heit nix verdient!"
Von Herrn Menzenbach ist noch eine andere Anekdote überliefert: Eines abends verkündete er im Wirtshaus, dass der Wöllsteiner Lokschuppen nicht mehr benötigt werde und demzufolge der Abriss bevorstehe. In der darauf folgenden Nacht sagten sich einige Jugendliche: "Wenn schon der Schuppen abgerissen wird, so lasst uns vorher noch die Scheiben einwerfen!" - gesagt, getan: Leider war die Sache mit dem bevorstehenden Abriss eine Falschmeldung....


Die Straßenbahn von Kreuznach nach St.Johann überquert das "Bawettche"
 
Literaturhinweise
Ruppersberger, Lutz 65 Jahre dampfendes Bawettchen - Chronik der Nebenbahn Sprendlingen-Fürfeld, Rheinhessische Druckerwerkstätte Alzey 1983
Ruppersberger, Lutz 65 Jahre dampfendes Bawettchen - In: Alzey-Worms: Heimat-Jahrbuch. - 19 (1984), S. 97-98
Heinrich, Horst Als das "Bawettche" durch Rheinhessen fuhr : Erinnerungen an die gute, alte Eisenbahnzeit. - Ill. In: Heimat am Mittelrhein. - 37 (1992), 2
Borchmeyer, Walter 40 Jahre Süddeutsche Eisenbahn-Gesellschaft, Essen 1935 (Nachdruck Darmstadt 1995)
Wolff, Gerd Deutsche Klein- und Privatbahnen. Band 1: Rheinland-Pfalz / Saarland; Freiburg 1989